ANNE STROBL
SKULPTUREN / PLASTIKEN / INSTALLATIONEN
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VOM WESEN DER KÖRPERSTATUE
ZU DEN FIGURALEN WERKEN VON ANNE STROBL
von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

In der Annäherung von Kunst und Leben, mit der sich im 20.Jahrhundert Künstlerinnen und Künstler auseinandersetzten, hat sich auch das bleibend aktuelle Kapitel des Körperlichen neu erschlossen. Die Thematisierung eines Innen und Außen durch Reduzierung der Figur auf eine Art Häutung ist von den Feministinnen als ihre Entdeckung vereinnahmt worden. Obwohl es eine ähnliche Herleitung für die Werke Anne Strobls geben könnte, reichen die allgemeinen Erklärungen im Sinne von „gender-studies“ wohl nicht aus. Hier anschließend wären viele verwandte Konzeptionen zu finden, etwa bei Kiki Smith, Bruce Nauman oder den Hyperrealisten, aber auch in der sogenannten „Volkskunst“. Das Körperhüllenhafte und den starken Raumbezug durch Dominanz der Bewegung über die Standhaftigkeit am Podest teilt Anne Strobl mit Tendenzen, die auch in den figuralen Installationen des englischen Bildhauers Antony Gormley zu finden sind. Dieser verwendet Abgüsse seines Körpers oder läßt durch anonyme Arbeiter in Mittel- und Südamerika einfache Tonfigürchen in Massen anfertigen, die er dann zu Tausenden in Galerieräumen als Alternative zum einzelnen Mahnmal aufstellt. Viele einzelne Kleinplastiken verbinden sich zu einem Ensemble, das eine thematische „Familie“ bildet.

Leander Kaiser

hat die ausgehöhlten Rücken der frühen Figuren Anne Strobls mit der Häutungsmetapher der Malerin Maria Lassnig im Sinne körperlicher Befindlichkeit verglichen. Ähnlich ist aber nur die Präsenz der Figur im Umraum, für die in den letzten Jahrzehnten wieder eine neue (individuelle) Mythologie, aber auch eine neue Magie zurückgewonnen wurde; formal sind diese Werke nicht vergleichbar. Im Fall der aus den verschiedensten Materialien geschaffenen Gestalten Anne Strobls ist selbst diese Oberflächenbeschaffenheit eine sich wandelnde Haut; das Machen, der technische Vorgang wird nicht als mechanischer Prozeß gesehen, der sich dem ideellen unterordnet - als Absolventin der Folkwangschule in Essen hat sie einen sinnlich positiven Bezug dazu. Holz mit seiner Maserung, Sandstein mit seiner Porigkeit, Tonmasse mit Knet- und Fingerspuren, Gipsglasur, unterbrochen von durchscheinendem grauen Zement oder (Glasfaser-) Beton, vermitteln wie expressive Malerei an sich schon Bewegung, Lebendigkeit. Stark wirkt der Kontrast von feierlichem, fast kultischem Weiß des Gipses und Metall - in den Ständern und Wagenpodesten Eisen, aber auch Bronzeguß von Figuren werden in den Installationen zusammengeführt und in hoch ästhetischem Wechsel kombiniert. Ein Material, das saugt, und eines, das wasserabstoßend hart und glatt ist, wirken nebeneinander wie Antithesen. Der Ton kann zuweilen eine malerisch skizzenhafte Oberflächenbeschaffenheit aufweisen, wie sie in den Werken Medardo Rossos (auch bei Rodin und in den Skulpturen Degas) am Ende des 19. Jahrhunderts schon Thema war.

Am Anfang interessierte die Künstlerin das seltsam gespaltene Figurenwachstum dieser Körperhüllen: Aus einer sich scheinbar durch die Schwerkraft oder die Natur verwelkend nach unten neigenden Gestalt wuchsen andere heraus, fächerten sich bis zu vierfach. Kaiser hat das mit der Heraklestat der Vernichtung der lernäischen Hydria verglichen, auch die Geburt der Athene aus dem Körper ihres Vaters Zeus oder die Entnahme der Eva aus der Rippe des Adam könnten als Anleihe gesehen werden - am Ende bleibt die Metapher des bildhauerischen Gestaltungsvorgangs als Analogie zum Schöpferischen an sich: Prometheus formte sein Geschlecht aus Lehm, mit Hilfe von Athene wurde es lebendig. Doch dort, wo die Schöpfung so direkt formuliert wird, lauert auch der Tod. Deshalb haben Anne Strobls Figuren – egal, ob sie gespalten sind oder in mehrere Hauthüllen gefächert, sich mit Rädern fast tänzerisch turnend bewegen oder nur hängen, sitzen, stehen oder liegen und neuerdings in Booten fahren oder unter Bäumen weilen - auch etwas von den Stellvertreterfiguren in den ägyptischen Königs-, Beamten- und Künstlergräbern. Diese waren körperlich magischer Ersatz für den Toten, wurden vielleicht sogar direkt von ihnen abgenommen oder sind verkleinerte Abbilder; sie dienten der umherschweifenden Seele - dem „Ba“-Vogel - als Lebenskraftbasis „Ka“: Die Seele konnte nach damaliger Vorstellung in diese Stellvertreter zurückkehren, um wieder körperliche Präsenz zu erhalten.
Die Abziehbilder im magischen Sinne unserer Existenzfragen sind heute die Kunstwerke. Es geht aber nicht mehr um die religiösen Fragen eines Jenseits, sondern um eine Definition unserer heutigen und hiesigen sinnvollen oder sinnlosen Existenz. Deshalb sind die uralten Wünsche nach magischer Körperlichkeit, die Vorstellung einer geistigen Hülle, in die der Mensch sich wandeln möchte, so virulent.

Die kleinen, skizzenhaft gekneteten Tonfigurinen von 1998, die auf Rädern sitzen oder equilibristisch liegen, aber auch Gegenstände haltend, angespannt oder freihändig entspannt, labile Stellungen durchspielen bzw. in ihrer Fortbewegung innehalten wie die vorgefallen sitzende Gymnastikerin mit dem Ball unter ihren Füßen - sie alle gewinnen durch ihr schlichtes Tun ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, das wohl eine Art Parallelaktion zum auslaufenden Modell des Denk- oder Mahnmals im öffentlichen Raum darstellt. Die zwanghaft durch den Ball gehobenen Füße an ausgestreckten Beinen und der nach vorne gekrümmte Rücken, Nacken und Kopf mit hängendem, gesichtsverhüllendem Haar, machen aus der Turnerin mit Ball eine Allegorie der Melancholie. Männliche Vertreter dieser Radhocker wirken wiederum wie Philosophen, und die Kanten- und Podestsitzer blicken nach oben, als gäbe es von dort doch noch Geistiges zu erfahren.

Diese ernste Note ist nur ein Stimmungscharakter der Arbeiten. Anne Strobl hat in dem in Gemeinschaft mit Roman Strobl entstandenen Zyklus der Sandsteinfiguren für Schloß Kaps (1997) und einer diesem folgenden Gruppe (wieder aus Sandstein, 1998) auch ein Wagnis der Heiterkeit und Lebensfreude von gestisch zueinander agierenden Gestalten geschaffen. Raumgreifend, selbstbewußt und ironisch nehmen manche die Hände vor den Mund, um ihre Verurteilung zum Schweigen (als Werke der bildenden Kunst) noch einmal zu unterstreichen, andere blicken mit aposkopischer Geste in die Ferne - wieder wird das Medium Bildhauerei selbst, diesmal heiter, mit thematisiert. Eine dieser Figuren ergeht sich mit erhobenen Händen gestikulierend hinter einer Glaswand, die sie mit dem Betrachter in ihr Dasein einbezieht - auch an ihrem endgültigen Aufstellungsort hat diese männliche Metapher des Vorausschauens (man könnte das auch als Ironie der Künstlerin deuten) den Dialog auf diese Weise aufgenommen. Ein Sitzender streckt exzentrisch ein Bein weg und von diesem noch einmal eine Zehe. Die Gesichter sind - bei den Sandstein- wie den Tonfiguren - nie ganz ausgebildet, die Haut des Körpers schließt die Maske Gesicht mit ein, und damit sind sie absolute Vertreter des Menschlichen wie die „Uschebti“-Figuren, die dem Pharao zu seinem Stellvertreter zusätzlich als Arbeiter mitgegeben wurden. Ihre Magie liegt in dem, was sie an Lebendigkeit mit unmittelbarer körperlicher Präsenz durch starke Torsion mit einbringen. Sie sind zwar nicht mehr „heilswirksam“ und rettend für einen Toten oder eine Tote im Grab, aber sie sprechen als intelligente ästhetische Vertreter der neuen figuralen Plastik.

Die Todes- und Jenseitsmetapher kehrt in den Installationen der „Boote“ (1998/99 - 2001) wieder. Weiße „bräutliche“ Schiffe in vielen Größen und Variationen, aber auch auf Kultwägelchen mit hohen Stangenpodesten gestellt, werden in eine lineare Raumprozession gebracht oder segeln am Boden dahin. Die Bewegung ist hier nicht in den Gegenständen selbst, sondern durch ihre Aufstellung vorhanden - kleine Bronzefiguren auf weißen Marmorhockern agieren in der reinen Bootsprozession als entferntere Zuschauer - die Gruppe der wenigen steht für die ganze Menschheit, die auf das alte Hoffnungssymbol des Jenseitsgefährts blickt. Auch der Raumbezug verstärkt Mythos und Magie der Werke - aber was einmal mahnmalartig war, ist nun in diesen neuen Arbeiten von unheroischem Erinnerungscharakter.

Die Kanus sind variationsreich aus Gips geformt, spitze und abgeflachte, gebogene und zweiflügelige Enden schließen sie ab, gehalten von den Eisenstangen auf ihren Wagen schweben sie in der Luft, als wäre diese Wasser. Das Prozessionshafte der (durch die Räder scheinbar nachziehbaren) Vierergruppe wird verstärkt durch die in und auf den Rändern der Gefährte Sitzenden - als reizvoller Materialwechsel sind es, bis auf eine Ausnahme im Flügelboot in angeglichenem Gips, terrakottafarbene Tonfigürchen. Nur die gleichfarbigen Gestalten bekommen einen jenseitigen geisterhaften Charakter, auch wenn der vordere von ihnen die Arme wie zum Rudern gehoben hält; die anderen behaupten ihre Lebendigkeit im Innehalten verschiedener Ruhepositionen, lassen sich treiben. Auch wenn die Motive des Sitzens aus der Serie der turnerischen Equilibristen wieder auftaucht, haben sie doch in den Booten eine völlig eigenständige Wirkung. Der Dreiklang von changierendem Metallsockel, Weiß der Boote und Ockerbraun bis Grau in den Figuren hat einen hohen und bei aller Abwechslung harmonischen Reiz, dem sich wohl kaum ein Betrachter entziehen kann.

Vorausgegangen ist den Installationen aus gipsernen Booten, auch farblich nahestehend, die „Werkfamilie“ der aus Gipshaut über Glasfaserbeton gekennzeichneten Plastiken aus den späten achtziger Jahren: Ein stehendes Paar wächst fußlos aus dem Boden, an die Wand gelehnt, die weiblich anmutende Figur ist größer als die männliche; zwei Liegende auf einem tischartigen Podest lagern gegengleich, die Zehen der einen schauen nach oben, die der anderen nach unten; eine Figur hängt an einer Drahtstange - trotz ausbleibender äußerlicher Geschlechtsmerkmale wirkt sie wieder weiblich, dem Aussehen nach aber einem kykladischen Idol am nächsten, und wieder ist damit der Verweis auf die Magie der Figur gegeben. Stehende Bronzegruppen („Vier stehende Figuren“ von 1991) sind den gelängten etruskischen Grabbeigaben auch viel ähnlicher als den dünnen Figürchen Giacomettis, mit dessen und Brancusis Werk die Künstlerin nur Grundsätzliches teilt. - Ersterer hat nebst Stehenden auch Schreitende geschaffen, Anne Strobl „Laufende“ (1989), bei denen die Podeste weder Beiwerk noch Unterlage sind - sie sind Rampen für das Spiel der Bewegung, für ein Wachstum zuerst, gleichsam aus dem Stiel einer Blüte heraus, und dann lösen sich die Figuren von ihren Sockeln, in den Raum hinaus sich gleitend fortbewegend, wie später auch die Boote fahren werden. Allen gemeinsam ist die raumgreifende Form (einzeln und in Gruppen), die sich auch auf einem Gerüst von Leitern, auf kleinen Podest-Balkonen oder auch in Regalen an der Wand entfalten kann, um die verschiedenen Positionen besser zu demonstrieren.
In diese Regale einordenbar oder auch am Boden zusammenzustellen sind auch die 2001 entstandenen vierzig Köpfe (nachdem es auch vierzig Boote waren und die im Orient heilige Zahl sich zufällig ergab) aus Ton. Sie sind verschiedenfarbig, ihre malerische unruhige Oberfläche changiert von terrakottafarben über grau bis zu beige mit schwarzen, großporigen Stellen. Sie sind beidgeschlechtlich, verschiedenen Alters, und sie agieren unterschiedlich. Manche senken den Kopf, andere blicken nach oben, wie es schon bei den Sitzenden der Fall war. Andere haben den Mund zum Singen geöffnet, wenige blicken schmerzverzerrt, legen sich schräg, ein einziger trägt einen Hut. Die Köpfe sind schmal, eierförmig breit, sie sind vorne spitz zulaufend, haben breite oder schmale Hälse, auch die Gesichter können lang oder rund sein; die Augen wirken oft geschlossen und nach innen gerichtet, vielleicht horchend. Alle zusammen haben wieder Ähnlichkeit mit den Konzepten Gormleys oder Kiki Smith’, aber auch mit den lockeren Gruppierungen von Frauengestalten aus der Geschichte, die Nancy Spero mit Modeln zum Druck auf die Wand fertigt. Natürlich sind hier wie bei den Booten und den sitzenden Equilibristen die Schatten, die diese werfen, sehr wichtig, sie können als weiterer malerischer Faktor die Suggestionskraft der ganzen Installationen sogar erhöhen. Der „Paragone“ zwischen Malerei und Bildhauerei ist als Dialog eröffnet.
Mit den Sängerinnen und Sängern ist aber auch die Schwesternkunst der Musik angesprochen und eine scheinbar stille Melodie angestimmt, es kommt auch zur Erinnerung an die vielen Metaphern der vergänglichsten aller Künste, die wie die Jenseitsboote mit dem schnellen Ablauf menschlichen Lebens zu tun haben, z.B. im Mythos von Orpheus. Der antike Sänger war in die Unterwelt gestiegen, um seine Geliebte Eurydike aus dem Hades zurück ans Licht zu holen. Sein eingebrachtes Versprechen, sich am Weg herauf nicht nach der Schattenhaften umzuwenden, konnte er aus Liebe nicht einhalten, und so ging sie ihm endgültig verloren. Doch aus Trauer muß Orpheus nun ewig weitersingen, und so tönen die alten Klagen noch heute aus den „Köpfen“ Anne Strobls. Die Zuhörerinnen scheinen gleich daneben aufzutauchen, so manch eine hat den Kopf ganz zur Seite an die nicht vorhandenen Schultern gelegt und horcht, andere blicken in die Höhe und meinen die zauberhaften orphischen Stimmen aus dem Äther zu vernehmen. Geheimnisvolles umgibt sie alle durch ihr „verwaschen“ malerisches Gesicht und die ins Material einwachsenden Augenhöhlen oder Münder - das sind keine modischen Wesen, sondern eher ein Chor verloren geglaubter Götter oder Schattenmenschen, die über das Wasser auf den Booten zurückgekehrt sind, um uns aus der Raserei der Zeit zu holen.

Desgleichen auch zwei Ensembles mit Hügelsockel, auf denen neben zwei Bäumen aus Bronze auch eine Figur steht oder sitzt. Auch sie beide sind Heimgekehrte aus einem Mythos wie dem des Orpheus oder den arkadischen Hirtenliedern. Der kultische Ort ist der, auf dem die Orphik ausgeübt wird; eine Religion, von der wir nur mehr Ahnungen haben: eine ist die vom Glauben an die Seelenwanderung. Die Bäume sind stilisierte Zypressen, wie sie auf den „Toteninseln“ auftauchen, die seit Böcklins Bildserie in unseren Köpfen spukt. Kunst, die stärker sein will als der Tod - so der Glaube des Orpheus. Wieder sind die Figurationen den früheren nahe und bilden mit dem Erddach eine scheinbar kunstlose symbiotische Einheit: Menschen, die wie Eidechsen oder Schildkröten steinähnlich werden, versöhnlich nach unten blicken. Wie bei den Tonköpfen ist in ihrer unruhigen Oberfläche das Leben eingekerbt - mit feinen Strichen und Poren, schattenhaft graue Stellen wechseln mit glatteren, und manchmal wird der Kopf wieder Erdklumpen, aus dem Prometheus ihn geformt hat - oder doch eher geschlechtslose Gottheit. Die Strukturen machen auch die Unebenheiten der Seele sichtbar, entstanden im Kampf um das menschliche Dasein, sie lenken nicht ab, können aber doch nicht, wie oberflächliche Freizeitkultur es gewohnt ist, im schnellen Vorbeischauen genossen werden.